Samstag, 8. April 2017
„Was machst Du denn heute?“
„Nichts!“
„Hast Du doch gestern schon gemacht!“
„Bin nicht fertig geworden!“
Nirgends scheint dieser Spruch besser zu passen als hier, zumindest auf die Segler! Wieder treffen wir am Ankerplatz auf zwei Seglerpaare, die seit Wochen hier liegen und schon seit Monaten in Französisch Polynesien von Insel zu Insel segeln ohne etwas zu tun. Und wenn man nicht aufpasst, so verfällt man diesem „In den Tag leben“ sehr schnell. Die Hitze ist etwas besser zu ertragen, da beständig Wind über die Insel und die Lagune weht. Der gelegentliche Regen bringt zwar nur wenig Abkühlung, aber auch nicht die Schwüle wie in den Marquesas. Das Wasser ist sauber und klar und von unglaublichen Farben, je nach Tiefe und Untergrund.
Wir fahren mit den Dingis an Land. Vorsichtig muss man im flachen Wasser zwischen den Korallenköpfen hindurch manövrieren. Sie erscheinen grün-braun im sonst fast weißen Sand. Vor der Dorfkirche gibt es eine kleine Betonpier, wo wir festmachen können. Da nicht nur das Land, sondern auch das Wasser der Lagune den Bewohnern gehört, empfiehlt es sich, beim ersten Landgang zu fragen, ob man denn da draußen ankern darf? Im ersten Haus nach der Pier treffen wir auf zwei junge Männer, freundlich lächelnd erklären sie, dass wir gerne dort bleiben dürfen.
Wir laufen die betonierte Dorfstrasse entlang. Wir begegnen nur fröhlichen Gesichtern. Jeder, vom Kind bis zum Greis, zu Fuß, auf dem Rad oder im Auto, lächelt, winkt und grüßt. Die Häuser beidseits der Strasse stehen meist auf Betonsockeln, manche haben gemauerte Wände, doch bei den allermeisten bestehen die Wände aus Spanplatten. Lamellenfenster und Wellblechdächer sind Standart. Fast in jedem Garten steht, neben einer großen Satellitenantenne, ein völlig verrostetes, ausgeschlachtetes altes Auto ohne Räder. Die wenigen Autos, die im Schritttempo über die einzige Strasse fahren, sehen allerdings kaum besser aus. TÜV gibt es hier jedenfalls nicht! Vom Generatorhaus aus versorgen zwei Dieselgeneratoren die Insel mit Strom. Regenwasser wird von den Dächern in große Zysternen geleitet, andere Süßwasserquellen gibt es nicht. Der sandige Boden ist voller Löcher von den unzähligen grauen Landkrabben. Das einzige, was auf dem Korallensand wächst, sind Kokospalmen. Damit ist fast die gesamte Insel bewachsen. Sie sind nicht nur Nahrungsquelle sondern durch Copra-Produktion vor allem Einkommensquelle für die Bewohner. Die Nüsse werden gesammelt, ausgeschält, geöffnet und getrocknet. Dafür werden die Stücke auf Gestellen in der Sonne ausgebreitet, nach drei Tagen gewendet, bei Regen ab- und dann wieder aufgedeckt, bis sie trocken in Säcke abgefüllt werden können und verkauft werden. Eine weitere Einkommensquelle ist die Zucht der schwarzen Tahiti-Perlen. Der Markt dafür ist aber seit ein paar Jahren eingebrochen, die Preise sind gefallen. Wie wir im Gespräch mit den Einwohnern erfahren, hat ein Zyklon im Dezember nicht nur großen Schaden auf der Insel angerichtet, sondern auch einen Teil der Perlenfarmen in der Lagune verwüstet, ebenso wie die Gestelle zum Trocknen der Kokosnüsse. Zwischen Kokospalmen sehen wir die Reste eines vom Zyklon zerstörten Hauses. Wellblechdach und Holzwände sind verschwunden, übrig geblieben sind die Betonbodenplatte und darauf eine strahlend weiße Porzellantoilettenschüssel.
Fischfang spielt wohl keine große Rolle hier, Fish Poison ist ein Problem. Das Leben auf dem Atoll ist wesentlich schwerer als auf den fruchtbaren Inseln der Marquesas, wo alles Obst und Gemüse im Überfluss wächst. Die beiden Läden hier führen einige Konserven und Getränke. In großen Tiefkühltruhen lagern Hamburger, Hühnchen und Gemüse. In einer Truhe sind nur gefrorene Baguettes. Außer ein paar Kartoffeln, Zwiebeln und Knoblauch gibt es nichts Frisches. Die Versorgung der 300 Inselbewohner geschieht durch ein dreimal wöchentlich ankommendes Flugzeug und durch einen Dampfer, der wohl alle zwei Wochen kommt.
Mit dem Dingi fahren wir in Richtung Küste und ankern im flachen Bereich auf dem weißen Sand zwischen Korallenblöcken. Wir schnorcheln von Block zu Block. Die Korallen sehen nicht „gesund“ aus, sie sind farblos, das Wasser scheint zu warm zu sein. Aber jede Menge kleiner bunter Fische schwimmen um sie herum.
Wir bekommen eine Trinkkokosnuss geschenkt. Sie ist an der oberen Öffnung geschält, aber noch geschlossen. Wir rücken ihr mit der Bohrmaschine zu Leibe: Zwei Löcher für die Strohhalme und ein Luftloch! Schmeckt lecker und ist sehr nahrhaft. Danach wird eine Machete gekauft!
Am Abend kurz vor Sonnenuntergang fahren wir noch mal an Land. Sorgfältig lassen wir unseren Weg vom Garmin Hand-GPS aufzeichnen, damit wir später im Dunklen problemlos unseren Track zwischen den Korallenblöcken zurück fahren können. Im Dorf findet ein Fest statt, weil die Schulferien zu Ende sind und alle Kinder ab der dritten Klasse ab Montag wieder für einige Wochen auf einer anderen Insel in die Schule gehen müssen. Auf einem langen Grill werden schmackhafte Fleischspieße gegrillt, dazu gibt es große Mengen Pommes Frites. Zwischen zwei Kokospalmen ist ein weißes Laken gespannt, dahinter steht ein Beamer und daneben ein großer Lautsprecher: Public Viewing! Wir schauen „Oben“ auf Französisch, während im Hintergrund die Männer Fußball spielen und Kinder und Hunde dazwischen wuseln. Eine unglaublich friedliche, freundliche Atmosphäre!
Wir treffen auf Josselyn und ihren Mann von einem der französischen Segelboote. Zusammen laufen wir nach dem Film zur Pier zurück. Die riesigen leeren Dieselfässer, die vor drei Stunden noch da standen, sind verschwunden, dafür stehen volle da. Draußen in der Fahrrinne fährt ein großes Schiff. Und unsere Dingis sind nicht mehr an der Pier, sondern seitlich davon sauber an den Korallenblöcken vertäut. Sie waren wohl im Weg. Exakt dem Track auf dem Garmin folgend kommen wir ohne Grundberührung durch das Flach in tiefes Wasser. Die Franzosen folgen uns direkt, sie sind nur mit einer Taschenlampe ausgerüstet! Morgen früh wollen wir alle drei nach Fakarava segeln.
Ja, es ist ein großer Unterschied, ob man mit dem Flieger auf touristisch vorgebahnten Wegen bequem in ein Hotelresort irgendwo auf der Welt reist oder ob man sich das auf eigenem Kiel erkämpft. Man kommt so allerdings auch an ursprünglichere und interessantere Ziele.
Wie gerne würden wir an eurem Nichtstun teilhaben! Aber diese Phasen des Müßiggangs musstet ihr euch ja hart erarbeiten. 😎💪